Wir schleudern uns hinaus durch unsere Schädeldecke, lassen unsere Fü?e unter uns zurück, wir fallen zusammen, beide rollen wir über den Körper des anderen während wir uns dem Boden nähern, und können nicht voraussehen wer zuoberst sein wird, wenn wir ihn erreichen.
Ich tanze mit dem Bild dass ich ein Fluss bin und du mein Ufer. Ich weiss nicht was flussabwärts liegt. Ich lasse das auf mich zukommen. Wenn die Ufer näher zusammentreten, bewege ich mich schneller, wenn das Flussbett weiter wird, fliesse ich langsam auf die Mündung zu. Wenn sich mir ein Fels in den Weg stellt, kann ich ihn umfliessen oder ihn von unten hochheben, oder darüberfliessen und hochgehoben werden. Ich werde ständig in diese Dinge gezogen. Gleichzeitig weiss ich aber dass auch du ein Fluss bist und ich das Ufer deines Flusses, und dass auch du nicht weisst, was um die nächste Flussbiegung liegt.
Unsere Handrücken treffen sich. Wir folgen ihrem nomadischen Pfad zwischen uns und durch den Raum.
Du bist ein fremder im Jam. Ich werde niemals deinen Namen erfahren. Unser authentischer, spontaner Kontakt bringt mit sich, unser Bedurfnis von dieser Begegnung etwas zu bekommen oder zu profitieren, aufzugeben. Es ist der Prozess, ein gewünschtes Ergebnis zu unterdrücken. Kontakt ist die Wegeskreuzung an der wir uns treffen, wo Informationen und Güter ausgetauscht werden. Kontakt ist der Marktplatz, das Wasserloch, es ist wo wir uns erlauben, berührt zu werden und wo unsere Stärke und unsere Grenzen herausgefordert, ermutigt und getestet werden. Beim authentischen, spontanen Kontakt geht es darum, in den Austausch und Fluss einzutreten, bereit, unsere Wahrnehmungen und Aktionen darzulegen, ohne Angst vor Verlusten oder Versprechen von Lösungen.
Ich bin auf allen Vieren. Du stehst neben mir und benützt meinen Rücken wie ein Trampolin, fällst in mich und wirst wieder in den Stand zurückgeschleudert, nur um erneut in mich zu fallen. Alter Freund, ich erinnere mich der Pfade auch nach all diesen Jahren. Es ist vertraut, ich kenne diesen Tanz weil wir jahrzehntelang miteinander Geschichte geschrieben haben. Wir haben unauslöschbar in unsere gegenseitigen Synapsen und Zellen einprogrammiert, wer wir sind – was wir mögen, wo unsere unüberschreitbaren Grenzen sind. Und hier sind wir, Jahre später, und tanzen in der dünnen Luft von Zentralmexico, heben ab und fliegen und brüllen mit unserer Erinnerung von Entzücken.
Mit Dir zu tanzen ist wie mit mir selbst zu tanzen. Du bist gross und kräftig. Ich rolle deinen aufrechten Rücken hinauf bis zu deinen Schultern und rolle weiter auf deinen Kopf zu und kreise von Schulter zu Schulter wie wirbelnde Rotorblätter eines Hubschraubers.
Ich mag es mit dir zu schwitzen und meine Lungen in ihrer vollen Kapazität zu fühlen. Und gestossen und zurückgestossen zu werden. Und lachen. Ich mag es, wie meine Haut unter der Berührung mit deiner Haut aufblüht. Wie Staubbeutel und Nabe – diese Bestäubung die uns in Schönheit aufblühen lässt. Und wenn ich tanze fühle ich mich schön – stark, widerstandsfähig, sensitiv, menschlich. Es gibt mir das Gefühl, dass ich etwas Ganzes erreiche.
Wir rennen durch den Raum, und mit einer Hand auf der Schulter des Anderen hebst du jeden fünften Schritt ab. Und wenn du wieder landest, lehne ich mich plötzlich durch meinen Arm auf deiner Schulter, Füsse die nach aussen von dir wegfliegen, ich fliegeim Kreis. Du bist so klein wenn du neben mir stehst und doch wirst du so gross wenn du tanzt. Ich tanze Kontakt mit dir weil ich die Aufregung liebe. Falle aus meinem Zentrum und weiss dass ich die Fähigkeit habe, mich zu retten wenn ich muss. Leben und spielen mit den physikalischen Kräften wenn wir zwei Individuen unsere Zeit zusammen aushandeln. Die Aufregung in der Instabilität menschlicher Begegnung zu leben.
Ich springe durch den Raum, fliege horizontal um auf deiner Brust aufzukommen. Anstatt dort zu stehen und mich aufzufangen, springst du mit mir, schleuderst meinen Körper in die Luft und wir stülpen unser Innerstes nach Aussen und fallen geräuschlos auf den ewig wartenden Boden. Ich tanze Kontakt mit dir um mich wie ein Tier zu fühlen, alle Gedanken zu verlieren, aufzuhören, die Zukunft zu planen. Um zu leben, was dieser Moment bringt, auf der Jagd zu sein, auf vollem Adrenalin hier in der Savanne, der Löwe kommt gerade eben in Sicht.
Wir stehen Kopf an Kopf und fühlen das langsame Schwingen von unseren Knöcheln aufwärts durch unseren ganzen Körper. Ich lebe mit diesem Ideal – wie ein Dichter der mit der Wortgewandtheit und dem Tiefgang Shakespeares schreiben will – ich tanze mit dem Ideal, den selben Platz einzunehmen wie du. Mit dir nicht nur die gleiche Zeit zu teilen, sondern wirklich dort zu sein wo dein Körper sich in diesem Moment befindet. Wie stelle ich das an? Werde ich porös und vereine mich mit deinen Zellen? Schiebe ich mich hinein? Finde ich die kleinste Öffnung und giesse mein flüssiges Ich durch diese Tür? Ich weiss es noch nicht, aber ich suche weiter, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt nach dieser Vereinigung im Tanz. Manchmal fühlt es sich sexeull an. Öfter noch Spirituell, wie ein letztendliches Eingehen und Auflösen im Göttlichen.
Ich stehe mit gebeugten Knien. Du knickst an deinen Knien ein und lehnst dich zurück, dein Kopf und deine Schulter werden von meinem Knie getragen. Deine Füsse und deine Schulter halten deinen gebogenen Körper. Ich stelle fest dass wenn ich von hier aufspringe, ich dich mit mir hinaufnehme und dass du dann mit mir auf deiner Schulter dastehen wirst. Ich kenne deine Fähigkeit, auf dich selbst Acht zu geben, überall und jederzeit. Ich springe. Zu unserer grossen Überraschung rennst du durch den Raum mir mir auf deiner Schulter. Unser Tanz wird zu dem Spekulum durch das das Leben instinktiv erlebt wird, jenseits der Gedanken vom Errichten von Königreichen, näher an dem körperlichen Puls von Herz und Organen und Lymphe und unserem Blut, gebunden an die Jahreszeiten und Gezeiten und die Fruchtbarkeit der Welt in der wir leben.
Während wir zusammen durch den Raum rennen, fliegen wir abwechselnd in den Bogen hinauf zurHüfte des anderen. Wir fangen an beim Archätypischen, wo wir noch Ideale haben nach denen wir leben. Es geht nicht mehr um die Kämpfe der Götter. Aber nicht unähnlich der mythischen Welt ist der Tanz grosszügig. Wir werden mit einer riesigen Vielzahl an Gefühlen, Bildern, Berührungen und Begegnungen belohnt.
Wir fallen immer wieder ineinander, und überraschen uns jedes mal wieder damit, wo wir uns wiederfinden. Manchmal gehen wir ins Rollen über, manchmal fallen wir aufwärts, um uns an die schmalste Felszacke zu klammern, die uns auf eine Fahrt mitnimmt die dann in den nächsten Fall übergeht. Ich tanze Kontakt wegen des reinen flüssigen Vergnügens, mich mit anderen Körpern zu bewegen, ihre Grosszügigkeit zu fühlen wenn sie ihr Gewicht in mich giessen, genauso wie ich mich in sie giesse. Der geruch meiner Tanzpartner, ihre Augen zu sehen wenn wir anerkennen was wir tun. Das Gefühl das nicht nur eine Beschäftigung ist, irgendein Paartanz, sondern eine Art von Wiederaufladung, um uns mit einer grösseren Kapazität für anhaltendes Glücksgefühl wiederzufinden.
Während wir tanzen reisst du mir Stück für Stück mein Hemd vom Leib. Du bist ein Liebhaber des Tanzbodens. Wir leben als Feinschmecker unserer Sinne. Wir sind bon vivants, oh, wir leben. Zusammen sind wir bereit, genügend abzubremsen um die feineren Details zu untersuchen und erfahren. Contact Improvisation macht uns zu Kennern unserer eigenen Körper wie sie anderen Körpern und der Welt begegnen. Wir werden Epikuräer zwischenmenschlicher Beziehung und unsere Paletten öffenen sich den feineren Geschmacksnuancen der Vereinigung. In der Geheimsprache unseres intimen Tanzes flüstern unsere Zellen unsere Namen: Wollüstige.
Du bist um fast einen Kopf grösser als ich. Ich fühle mich absolut sicher dabei, in deine Richtung in die Luft abzuheben, nicht wissend, was dabei herauskommt. Ich tanze Kontakt mit dir damit ich fühlen kann, wie es ist wie ein Falke zu schweben, wie ein Otter zu tauchen, mich mit den Löwenjungen zu balgen, wie eine Schnecke zu schleimen, wie ein Kolibri in der Luft zu hängen, wie ein Hirsch gejagt zu werden, auf Beute niederzustürzen, auf einem Felsen zu schlafen nach der Häutung, aus meinem Cocon auszuschlüpfen um mich zu trocknen und meine Flügel zum allerersten Mal zu entfalten.
Wir stossen immer wieder zusammen, bis wir zu einem lachenden Haufen zusammenfallen. Ich tanze um die Geschichten meiner Partner zu kennen. Was ihre Sehnen mir erzählen, ihre Bereitschaft, zu stützen, mir eins auszuwischen, anzukommen, zu enthalten. Und welche Geschichte schreiben wir zusammen?
Wir sind Rücken an Rücken, fühlen die Unterstützung des anderen. Einer der schmerzvolleren Aspekte dieser Form, denn der Tanz ist eine niemals endende Suche, ein ständiges Sicheingestehen dass ich nicht weiss – ich habe es noch nicht alles herausgekriegt. Manchmal ist es langweilig, ich bin nicht zufrieden, will mehr, will weniger, ich fühle dass ich dir nicht wirklich begegne, ich wäre lieber in einem anderen Tanz. Du bist zu verschwitzt, scheinst zerstreut, du bist zu manipulativ. Du bist der
Spiegel meiner Existenz, den selben unbewussten Willen den ich in den Tanz bringe, bringe ich auch in mein Leben. Mit dir, mit jedem Partner, bekomme ich eine greifbare und manchmal erstaunliche Wiederspiegelung davon, wie ich alle meine Beziehungen lebe. Ich gehe in diese Steinschleifmaschine mit dir, werde mit dir herumgeschleudert, damit meine scharfen Kanten rund und weichgeschliffen werden sollen. Also hoffentlich kommen irgendwann die Edelsteine heraus, die im Inneren verborgen sind.
Wir wirbeln beide um unsere eigenen Zentren. Manchmal treffen sich unsere Hintern oder Hände wenn wir herumkommen. Contact Improvisation ist wie ein artesischer Brunnen, das Wasser hört nicht auf zu sprudeln wenn es einmal gefunden ist. Manchmal, an manchen Tagen, muss man die Quelle dieses Brunnens wiederfinden, aber wenn es erst gefunden ist, erfrischt es, nährt, belebt (erleuchtet).
Nachdem er unsere Urteile, unsere Wünsche, unsere Grenzen wiederspiegelt, bringt der Tanz einen stillen Ort in unseren Fokus. Nachdem er uns herausgefordert hat, massiert hat, uns gezwungen hat zu akzeptieren wer wir sind wie wir sind, steigt eine Ruhe in uns auf, wie die Erde die unter uns atmet anstatt dass wir etwas wollen müssen. Dann kommt ein Moment des Akzeptierens, Leben im augenblicklichen Wirbel der Gefühle und Austausch und Bewegung, nur dass wir uns im Auge des Orkans befinden, uns wohlfühlen, und den Rest um uns herumwirbeln lassen.
Wir schubsen, packen, stellen einander. Wir wiegen und stehen bei. Ich tanze Kontakt weil ich ein sexuelles Wesen bin. Mit Männern zu tanzen macht mich stolz, ein Mann zu sein. Die Kraft meiner Partner zu fühlen, ihren Schweiss wenn wir gegeneinander schieben zeigt mir, dass ich einen Platz zum stehen habe in dieser Welt. Und wenn ich mit Frauen tanze, ihre Düfte rieche, bekomme ich einen Tanz zu fühlen der von tief aus den Lenden kommt. Ich fühle wie meine Zellen zum Leben erwachen, und weiss dass ich Teil der Verbindung zwischen den Generationen bin – dass meine Sexualität mit etwas Grösserem als dem Persönlichen verbunden ist. Und während ich zu der Einen Frau heimkehre, kann ich im Tanz meine Anziehung zu vielen fühlen.
Wir surfen den Körper des anderen über den Boden. Wir tanzen Kontakt weil die Form unvollendet ist. Es ist keine Choreographie auf die wir uns verlassen, es ist vielmehr eine Serie von Prinzipien die dich und mich braucht um perfekt zu werden. Wir machen sie komplett.
Wir bewegen uns mit dem Bauch nach unten über den Boden. Es ist spät in der Nacht am Jam in Potsdam. Wir haben lange und hart getanzt und sind beide leergebrannt. Es ist also ob wir einen langen anstrengenden Tag lang gewandert sind und uns auf den Boden fallen lassen um uns auszuruhen. Nach einer Weile auf diesem Berggipfel fokussieren unsere Augen das Gras vor unseren Gesichtern. Wir nemen wahr wie sich die ganze Welt bewegt. Blumen die kleiner sind als wir uns jemals hätten vorstellen können kommen in unser Blickfeld, und da ist ein Ökosystem von 4-, 6-, 100-füssigen Kreaturen die ihrem Tagesablauf nachgehen, Nahrung sammeln, sich paaren, Nester bauen, Hügel bewegen, krabbeln, buddeln, hüpfen, warten.
In unserem Tanz, wenn wir uns verlangsamen und uns auf den Punkt nahebei konzentrieren finden wir eine ganze Welt voller Leben und Information. Wenn wir uns nur ein paar Zentimeter wegbewegen, kommt ein neues Ökosystem ins Blickfeld. Einen Moment Zeit zu nehmen um sie zu sehen, erlaubt uns uns mit mehr Mitgefühl und Bescheidenheit zu bewegen. Den Kontaktpunkt fühlen – was ist in ihm? Kann ich mich genug verlangsamen, um deinen Atem zu fühlen, deinen Herzschlag, deine Geschichte? Mit diesen neuentdeckten Details geht der Tanz weiter, von neuem belebt.
Wir rollen den Kontaktpunkt die Serpentinen unserer Körper hinauf. Ich tanze mit dir weil ich die Frage nicht beantworten konnte: Warum? Warum bin ich am Leben? Warum sind wir hier? Meine Ecken die tanzen und mit deinen Grenzen verschmelzen geben dem jetzigen Moment Grund genug. Das Leben wird greifbar. Ich habe vielleicht nicht alle Antworten, aber fühle mich erfüllt und voll mit der Frage. Ich tanze damit ich die Fragen tanzen kann.
Und wieder wenn wir tanzen, sind unsere Gesichter nass von Tränen. Wenn wir Contact tanzen ist es so einfach was wir tun. Wir treffen uns körperlich und sehen wo wir hingehen. Du bist ein Puzzle an Bewegungsabläufen und Möglichkeiten die meine Sammlung von Pfaden und Wünschen treffen. Wohin gehen wir zusammen? Was ist unser Tanz in diesem Moment an diesem Tag?
Doch versteckt in dieser verführerischen Einfachkeit sind Welten von ungezähmten Emotionen, roher Kontakt von Angesicht zu Angesicht, Momente von Herzzerreissender Zärtlichkeit, und die Aufregung von Fluchten zwischen Konstellationen. Wenn wir Tanzen bleibt nichts verborgen. Da sind Momente in denen klar wiedergespiegelt wird wer wir sind.
Manchmal schmeichelhaft, manchmal überraschend. Für einen weiteren Atemzug unseres kurzen Lebens leben wir wach, tanzen dem Schimmer entgegen wenn der Vorhang zu letzten Mal fällt.
Entlang der Seiten unserer Oberkörper verbunden, knicken wir beide an den Hüften, Knien und Knöcheln ein. Es fühlt sich an als ob unsere Herzen im Gleichklang schlagen. Wir sind langsam und in jedem Moment erreichen wir den Gipfel und können wählen, zu welcher Seite wir den Berg wieder hinabsteigen wollen, nur um wieder auf einem anderen Gipfel zu stehen. Wir tanzen und niemand spricht im Inneren. Wir sind in dem Zustand wo wir ein Ohr am anderen haben, und beide lauschen an den Ufern der grossen Stille.